Bereits im Herbst 2020 hatte sich das Demonstrationsgeschehen aus dem verschwörungsideologischen Spektrum ausdifferenziert. Neben großen bundesweiten Mobilisierungen nach Berlin, kam es vermehrt zu Versammlungen in unterschiedlichen Bezirken Berlins. Dieser Trend setzte sich in den ersten Monaten des Jahres 2021 fort. Wir dokumentieren hier insbesondere die Positionierungen und Proteste zu den großen verschwörungsideologischen Mobilisierungen und verlinken auf bereits bestehende Protestdokumentationen zu kleineren Anlässen. Die Dokumentation hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. (Dokumentationen 2020 Teil 1 & Teil 2 )
Bezirksübergreifende Proteste gegen Autokorsos (Februar/März 21)
Fotos: Berlin gegen Nazis
Im 1. Quartal 2021 waren verschwörungsideologische Autokorsos in den Abendstunden das häufigste Protestformat, die im März ihren Höhepunkt erreichten. Sie fanden mit geringen Teilnehmendenzahlen auch im Sommer 2021 weiter regelmäßig statt. (Hintergrundinformationen hier) Ende Januar bildeten sich teilweise bezirksübergreifende Gegenproteste von Anwohner_innen und zivilgesellschaftlichen Initiativen mit einer Vielzahl von Gegenprotesten, z.B. in Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf, Friedrichshain-Kreuzberg oder Neukölln. Die Proteste haben wir hier ausführlich dokumentiert.
Positionierung gegen Jahrestag der 1. verschwörungsideologischen Versammlung in Berlin (28.03.)
Fotos: Berlin gegen Nazis/Omas gegen Rechts Berlin
Am 28. März positionierte sich die Volksbühne Berlin wie an unzähligen Wochenenden 2020 erneut am Rosa-Luxemburg-Platz gegen Verschwörungsideologien und Antisemitismus. Anlass war der Jahrestag der allerersten „Hygiene-Demo“ am 28.03.2020 und eine entsprechende verschwörungsideologische Demonstration (Hintergrundinformationen hier) aus dem Wedding zum Rosa-Luxemburg-Platz, welche bereits am Startort mit Gegenprotest konfrontiert war. An der Volksbühne gab es dann den bekannten Reptiloiden Gegenprotest, der mittlerweile unter dem Motto „antiverschwurbelte Aktion“ mobilisiert.
Kiezproteste gegen Querdenkertour durch Berlin (April/Mai 2021)
Anfang März bildete sich aus vielen Kleinstgruppierungen aus dem verschwörungsideologischen Spektrum eine Vernetzung unter den Titel „Demo-Tour“,(Hintergrundinformationen hier) die regelmäßig Demonstrationen in unterschiedlichen Berliner Bezirken durchführte und bis Spätsommer 2021 weiterhin anmeldete, obwohl die Teilnehmendenzahlen ab Juni nur noch zweistellig waren.
Gegenproteste bildeten sich z.B. aufgrund einer Anmeldung in Spandau am 10. April. Über 100 Spandauer_innen versammelten sich vor dem Rathaus auf einer Kundgebung vom Spandauer Bündnis für Solidarität, Gesundheit und Demokratie, über 35 Menschen kamen bei einer zeitgleichen Online-Demo gegen Verschwörungsideologien zusammen und viele Anwohner_innen protestierten an der Route gegen die verschwörungsideologische Demonstration.
Fotos: Berlin gegen Nazis / Licht-Blicke /Spandauer Bündnis für Solidarität, Gesundheit und Demokratie
Es folgten starke Gegenproteste am 24. April in Kreuzberg. 500 Anwohner_innen protestierten mit breiter Unterstützung aus den anliegenden Wohnhäusern gegen eine verschwörungsideologische Demonstration mit ca. 80 Personen, darunter mehrere Neonazis.. Den Auftakt machte eine Protestkundgebung der spdxhain am Willy-Brandt-Haus. Auf der geplante Demonstrationsroute durch enge Straßen hatte sich die gesamte Nachbarschaft mit kreativen Bannern an den Hausfassaden gegen Verschwörungsideologien positioniert. Die sehr kleine verschwörungsideologische Demonstration erreichte diese Kieze jedoch nicht. Aufgrund von mehrfachem spontanen Gegenprotest auf der Route, musste sie eine verkürzte Ausweichroute über den Mehringdamm direkt zum Endplatz am Platz der Luftbrücke einschlagen.
Am 25. April in Neukölln-Gropiusstadt protestierten mehr als 75 Menschen gegen die Auftaktkundgebung der verschwörungsideologischen „Demo Tour“. Die Redner_innen auf der Kundgbeung vom Bündnis Neukölln und Hufeisern gegen Rechts gingen auf Missstände in der Pflege, die Situation von Corona-Kranken und ihren Angehörigen ein, thematisierten die menschenverachtende Rhetorik der selbsternannten Querdenker_innen und deren Anschlussfähigkeit an die Mitte der Gesellschaft. Die Angriffe auf Journalist_innen wurden genauso benannt wie die Bedrohung und Verleumdung einzelner Personen, die sich im Gegenprotest engagieren. Mehrere hundert Lichtenberger_innen protestierten eine Woche später am 1. Mai gegen eine verschwörungsideologische Demonstration durch das Wohnviertel im Nibelungenkiez.
Symbolischer Protest gegen bundesweite Tag-X-Mobilisierung (21.04.)
Die Initiative „Geradedenken“ stellte sich am 21. April – wie schon am 18. November 2020 – der kurzfristigen bundesweiten Tag X Mobilisierung ins Regierungsviertel (Hintergrundinformationen) an der erneut 8.000 bis 10.000 Personen teilnahmen, symbolisch entgegen. Aufgrund des erwarteten gewaltförmigen Verlaufes, der auch eintrat, verzichteten viele Initiativen und Bündnisse auf Gegenprotest an diesem Mittwoch im April.
Proteste in mehreren Bezirken gegen bundesweite Pfingstmobilisierung (21.-24.05.)
Eine Gruppierung aus dem verschwörungsideologischen Spektrum, welche im Herbst 2020 mehrere sogenannte Schweigemärsche mit überregionaler Mobilisierung in verschiedenen Bezirken unter Gegenprotest der Anwohner_innen durchgeführt hatte, mobilisierte mehrere Monate bundesweit zum verschwörungsideologischen Pfingstwochenede in Berlin. Über vier Tage sollte es Autokorsos (Freitag), einen „Sternschweigemarsch“ (Samstag), eine zentrale Kundgebung im Tiergarten (Sonntag), sowie Kundgebungen in allen Berliner Bezirken (Montag) geben. Diese Mobilisierung war ein Reinfall. Es kamen nur ca. 2000 Teilnehmende. Die zentralen Anmeldungen Samstag und Sonntag wurden verboten und am Pfingstmontag fanden nur in der Hälfte der Bezirke Kundgebungen mit geringen Teilnehmendenzahlen statt. An allen Tagen gab es Gegenproteste mit Schwerpunkt am Pfingstmontag in vier Bezirken.
Am Freitag protestierten Anwohner_innen lautstark und sichtbar am Theodor-Heuss-Platz in Charlottenburg gegen die Abschlusskundgebung von vier Autokorsos. Das Motto: Für für Wissenschaft statt Verschwörungsideologie. Zugleich der Auftakt zum Wochenende. Am Samstag und Sonntag nahmen die Reptiloiden Gegenproteste die Stadtmitte mit einem Fahrradkorso ein, während es zu Versuchen von Spontandemonstrationen aus dem verschwörungsideologischen Milieu kam, die schnell von der Polizei gestoppt oder aufgelöst wurden.
Fotos: Berlin gegen Nazis/Asta ASH (Twitter)/reclaimrosaluxemburgplatz (Twitter)/Omas gegen Rechts Berlin
Bereits am Samstagabend setzte die vorzeitige Abreise aus Berlin ein, sodass am Montag viele „Bezirkskundgebungen“ entfielen. Trotz Absage der verschwörungsideologischen Versammlung vor Ort, führte das Bündnis Neukölln eine lautstarke Kundgebung am Richardplatz durch. Auf dem Kreuzberger Mehringdamm gab es durchgängigen Gegenprotest gegen eine verschwörungsideologische Kundgebung organisiert von Anwohner_innen aus dem Kiez und in Pankow protestierten die Omas gegen Rechts Berlin. Die Alice-Salomon-Hochschule positionierte sich mit einem Riesenbanner an ihrer Fassade in Sichtweite der verschwörungsideologischen Kundgebung mit einigen Reichsbürgern und Rechtsextremen in Marzahn-Hellersdorf. In Reinickendorf und Schöneberg, sowie im Mauerpark im Prenzlauer Berg kam es zu spontanen Positionierungen von Anwohner_innen.
Protest gegen Provokation am Holocaust-Mahnmal (20.07.)
Fotos: Berlin gegen Nazis
Am 20. Juli, Jahrestag des Stauffenberg-Attentats auf Hitler 1944, meldete ein bekannter Videoblogger aus dem verschwörungsideologischen Spektrum eine Demonstration von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas an. Diese Anmeldung stellte den bisherigen Höhepunkt von Provokationen am Holocaust-Mahnmal dar, die zumeist in NS-Verharmlosung im Rahmen von verschwörungsideologischer Versammlungen in der Nähe des Denkmals bestehen. (Hintergrundinformationen hier) Die Omas gegen Rechts Berlin reagierten mit einer Schutzkundgebung am Denkmal und wurden trotz kurzer Mobilisierung von von weiteren Initiativen unterstützt. Die verschwörungsideologische Demonstration von letztlich 7 Personen durfte nicht am Holocaust-Mahnmal enden und nach der Schutzkundgebung der Omas gegen Rechts gab es spontanen und lautstarken Gegenprotest am Pariser Platz. Die Omas gegen Rechts Berlin standen in den folgenden 6 Wochen noch zweimal zum Schutz am Holocaust-Mahnmal.
Positionierung & Protest gegen den 1. Jahrestag von Querdenken (1.08.)
Zum ersten Jahrestag der bundesweiten Versammlungen von Querdenken am 1. August 2020 waren seit Jahresbeginn erneut große Versammlungen im Regierungsviertel und der Berliner Stadtmitte aus dem verchwörungsideologischen Spektrum angekündigt. Aus dem Berlin gegen Nazis Partner_innennetzwerk, welches über 80 Partnerorganisationen aus Unternehmen, Gewerkschaften, Kulturinstitutionen, Sportvereinen und sozialen Einrichtungen, Verbänden und Vereinen umfasst, entstand die Idee für eine Plakatkampagne zur stadtweiten Positionierung und Schwerpunkt Regierungsviertel mit dem Titel DAS WIRD MAN JA NOCH FRAGEN DÜRFEN. (ausführliche Dokumentation der Kampagne) Die Kampagne setzte auf den von über 10 Partner_innen zur Verfügung gestellten Flächen (hunderte Plakatwände, Fassadenmonitore, Balkone) der Stadt Fragezeichen hinter die richtigen Fragen. Sie rahmte die verschwörungsideologischen Aktivitäten im wörtlichen Sinne plakativ. Mal ironisch, mal ernst gemeint. Fragend erinnert die Kampagne an die tatsächliche Bedeutung von Grundrechten, wie der Meinungsfreiheit. Eine eigene Meinung schützt nicht vor Kritik und Widerrede und vor allem hat die Meinungsfreiheit ihre Grenzen dort, wo die Würde anderer Menschen angetastet wird. Auch um den 29. August positionierten sich einige Partner_innen erneut im Rahmen der Kampagne.
Fotos: Berlin gegen Nazis /Florian Boillot
Ab dem 30. Juli fanden verschwörungsideologische Versammlungen in Berlin statt. Die Hauptversammlungen waren jedoch verboten worden. (Hintergundinformationen) Am Samstagnachmittag gab es spontanen Gegenprotest von Anwohner_innen gegen eine Kundgebung am Nettelbeckplatz im Wedding. In Charlottenburg, Schöneberg und Kreuzberg fanden am 1. August unangemeldete verschwörungsideiologische Spontandemonstrationen mit insgesamt ca. 5000 Personen statt, mit dem Ziel das Regierungsviertel zu erreichen. Am Vormittag des 1. August versammelten sich bis zu 200 Teilnehmer_innen zur 2. Schutzkundgebung vor dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas unweit des Brandenburger Tors. Trotz der Versammlungsverbote bewegten sich im direkten Umfeld viele Kleingruppen aus dem verschwörungsideologischen Spektrum. Viele passierten die Omas gegen Rechts Kundgebung und es kam mitunter zu lautstarken Anfeindungen.
Fotos: Berlin gegen Nazis/Florian Boillot sowie locke_nk (Twitter)
Die Kundgebung der Omas gegen Rechts Berlin wurde unterstützt vom Omas gegen Rechts Deutschland-Bündnis, angereist waren Omas aus Hamburg, Halle, Kiel und Köln. Vor Ort war außerdem der Berliner VVN-B.d.A, die IG Metall Berlin, Aufstehen gegen Rassismus, die Anwohner*innen-Initiative für Zivilcourage – Gegen Rechts und viele andere. Auch der Reptiloide Gegenprotest führte eine kleine Demonstration im Stadtzentrum durch und auch der Reptiloide Fahradkorso war am Wochenende unterwegs. Am Nachmittag gab es einen „Geradedenken-Rave“ mit Abstand und Hygienekonzept an der Siegessäule.
Positionierungen & Protest gegen den 1. Jahrestag von Querdenken (29.08.)
Der angekündigte „Sommer der Freiheit“ von Querdenken in Berlin fand nicht statt. Seit Jahresbeginn angekündigt waren fast tägliche Versammlungsanmeldungen über den gesamten August mit Auftakt und Abschluss an den Jahrestagen der Querdenkendemonstrationen aus dem Jahr 2020 am 1. und 29. August. Nach den teils gewalttätigen Spontandemonstrationen am 1. August gab es Streitigkeiten im verschwörungsideologischen Spektrum, trotzdem startete erneut eine bundesweite verschwörungsideologische Mobilisierung nach Berlin. Erneut kam es am Samstag und Sonntag zu verschwörungsideologischen Spontandemonstrationen mit insgesamt ca. 5000 Personen, die teils gewalttätig durch Friedrichshain, Prenzlauer Berg, Mitte und Moabit liefen. (Hintergrundinformationen)
Fotos: Berlin gegen Nazis
Vor dem letzten Augustwochenende positionierten sich Organisationen, Geschäfte und Einrichtungen in den Bezirken mit leuchtenden Plakaten gegen Verschwörungsideologien und Antisemitismus. Diese Plakate entstanden aus einer Kooperation von einem halbes dutzend Partnerschaften für Demokratie in den Berliner Bezirken mit Unterstützung von Berlin gegen Nazis. Auch im Umfeld des Impfzentrum Arena in Treptow, welches im mehrfach Ziel von verschwörungsideologischen Anmeldungen war, wurden diese Plakate zur Positionierung genutzt. Am 29. August fand ein solches Plakat auch den Weg zur 3. Schutzkundgebung der Omas gegen Rechts Berlin am Denkmal für die ermordeten Juden Europas.
Fotos: Berlin gegen Nazis /reclaimrosaluxemburgplatz (Twitter)
Das Ziel der verschwörungsideologischen Versammlungen seit dem Frühsommer 2020 war das Regierungsviertel und der angrenzende Tiergarten sowie das östliche Stadtzentrum. Wie schon am 1. August waren am Wochenende um den 29.August fast alle verschwörungsideologischen Kundgebungen dort verboten worden. Trotzdem kam es an der Kundgebung der Omas gegen Rechts am Holocaust-Mahnmal mit bis zu 75 Teilnehmenden zu Anfeindungen aus Kleingruppen. Die zentralen Orte im Regierungsviertel belegten zudem die Reptiloiden Gegenproteste mit kleinen Kundgebungen, Demonstrationen und einem Fahrradkorso. Auch ein erneuter „Geradedenken-Rave“ fand an der Siegessäule statt.
Der 3. Teil unserer Dokumentation zeigt: Die Berliner Zivilgesellschaft hat sich auch 2021 durchgehend gegen Antisemitismus und Verschwörungsideologien positioniert. Eine Massenmobilisierung gegen die verschwörungsideologischen Versammlungen blieb -auch aufgrund der weiterhin bestehenden Pandemie – bisher aus.