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Gedenken und Protest am Jahrestag der Novemberpogrome

Update 2 +++ Samstag, 09.11.2019, ab 11.00 Uhr - Am 81. Jahrestag der Pogromnacht von 1938 hat eine Gruppierung aus dem Reichsbürger- spektrum in Berlins Mitte einen Aufmarsch angemeldet. Zivilgesellschaftlicher Protest und eine Gedenkdemonstration finden statt.

Es ist eine Provokation, die bereits letztes Jahr, am 9. November 2018, tausende Berlinerinnen und Berliner bei naßkaltem Wetter zu Protesten auf die Straße trieb, um sich gemeinsam den Rechtsextremen – damals von „Wir für Deutschland“ – entgegenzustellen. Der Tag sollte nicht von Neonazis, Rassisten und Demokratiefeinden dominiert werden, sondern vom Gedenken an den Holocaust. Das Bündnis für ein weltoffenes und tolerantes Berlin ruft zum Protest auf.

Gedenken & Protest

Vom 9. zum 10. November 1938 begannen in Deutschland direkte und gezielte Gewaltaktionen gegen die jüdische Bevölkerung. In dieser Nacht wurden Menschen getötet, verschleppt und verhaftet, jüdische Geschäfte geplündert und zerstört, Synagogen wurden niedergebrannt. In Berlin finden in Erinnerung an die Pogromnacht und den damit verbundenen Anfang der systematischen Vernichtung von Jüdinnen und Juden unterschiedlichste Gedenkveranstaltungen statt. Ein Überblick von Berlin gegen Nazis findet sich hier.

Kungebung und Mitmach-Aktion, Bebelplatz, 11.00 Uhr

Mitgliedsorganisationen Bündnis Berlin

Das Bündnis für ein weltoffenes und tolerantes Berlin, ein Bündnis von Kirchen, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden und weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen ruft unter dem Motto „Für ein würdiges Gedenken“(Facebook-Event) zu einer Kundgebung am 9.November am Bebelplatz auf.

Auf dem Bebelplatz, zugleich der Ort der Bücherverbrennung, wird das Bündnis Berlin eine Gedenkkundgebung in Form einer Mitmach-Aktion anbieten. Alle Berliner_innen sind aufgerufen, ein Buch einer Autorin oder eines Autors mitzubringen, das 1933 an diesem Ort verbrannt wurde und daraus einige Zeilen vorzulesen. Die Pogromnacht von 1938 hat eine nationalsozialistische Vorgeschichte, in der die Bücherverbrennung eine zentrale Rolle spielte. Die Kundgebung besetzt diesen Ort symbolisch angesichts der Provokation, die vom Reichsbürgeraufmarsch am 9. November in Berlins historischer Mitte ausgeht. Im Bündnis-Aufruf der auch von der Anwohner*inneninititive für Zivilcourage – Gegen Rechts und den Omas gegen Rechts Berlin unterstützt wird heißt es u.a.:

Am 81. Jahrestag der Novemberpogrome rufen erneut rechtsextreme Gruppen zu Versammlungen in Berlins Mitte auf. Unter dem Titel „Großer Preußenmarsch für Heimat & Weltfrieden“ versammeln sich die sog. Reichsbürger, um gegen unser Grundgesetz, unsere parlamentarische Demokratie und unsere Erinnerungskultur zu protestieren.

Wir lassen es nicht zu, dass der Tag der Novemberpogrome auf diese Weise benutzt und umgedeutet wird

Für einen verantwortungsbewussten Umgang mit unserer Geschichte. Für eine vielfältige und weltoffene Gesellschaft. Für ein weltoffenes und tolerantes Berlin. Machen Sie mit!

Gedenkkundgebung und Demonstration, Deportationsmahnmal Levetzowstraße, 17.00 Uhr

Plakat der Gedenkveranstaltung

Seit 1990 findet jährlich die Gedenkveranstaltung eines Bündnis um die Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten VVN-BdA unter dem Motto „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen“ statt.
Das Gedenken beginnt in diesem Jahr mit einer Kundgebung ab 17.00 Uhr am Deportationsmahnmal Levetzowstraße in Berlin-Moabit. Im Aufruf zum Gedenken heißt es:

Das Bündnis zum Gedenken an den 9. November hat es sich seit 1990 zur Aufgabe gemacht, den Tag nicht dem Vergessen anheimfallen zu lassen. Auch in diesem Jahr rufen wir zu einer Gedenkkundgebung am Mahnmal an der ehemaligen Synagoge in der Levetzowstraße in Moabit auf. Anschließend wird eine antifaschistische Demonstration durch Moabit führen und am heutigen S-Bahnhof Westhafen enden, wo vor 71 Jahren Jüdinnen*Juden in Konzentrationslager deportiert wurden.

Überblickskarte 09.11.2019, Berlin-Mitte (Stand vom 06.11.2019, Änderungen möglich)


Karte mobil online ansehen, wenn gewünscht mit Anzeige des eigenen Standortes, über Smartphone-App „Gegen Nazis“.

Routen und Kundgebungsorte

11.00 Uhr, Bebelplatz, Bündnis für ein weltoffenes und tolerantes Berlin Kundgebung „Für ein würdiges Gedenken“

11.00 Uhr Lustgarten (Höhe Berliner Dom), Startpunkt Aufmarsch staatenlos.info/Reichsbürgerspektrum – Aufmarschroute: Am Lustgarten, Bodestr., Am Kupfergraben, Dorotheenstr., Unversitätsstr., ZWISCHENKUNDGEBUNG: Unter den Linden (Reiterstandbild Friedrich der Große), Unter den Linden, Endpunkt: Unter den Linden/Wilhelmstr.

17.00 Uhr , Moabit, Deportationsmahnmal Levetzowstraße Gedenkkundgebung “ „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen“ von der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten VVN-BdA mit anschließender Gedenkdemonstration zum Mahnmal Pulitzbrücke

Einschätzung

Aus den zunächst drei Anmeldungen von Reichsbürgern und Rechtsextremen ist momentan nur noch ein Aufmarsch am 09.11. angemeldet. Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) hat eine Einschätzung zum 09. November veröffentlicht. Dort heißt u.a.:


Am 81. Jahrestag der antisemitischen Novemberpogrome vom 9. November 1938 planen rechtsextreme Splittergruppen Versammlungen in Berlins Innenstadt. Derzeit sind der MBR Aufrufe von drei Zusammenschlüssen zu unterschiedlichen Veranstaltungen bekannt. Die Reichsbürgergruppierung „staatenlos.info“ will ab 11 Uhr vom Lustgarten einen Aufzug unter dem Motto „Heimat und Weltfrieden“ durchführen. Sie werden dabei von den sog. „Gelben Westen Berlin“, die zunächst eine eigene Veranstaltung angemeldet hatten, unterstützt.

Eine ursprünglich von der Kleinstgruppierung „Patriotic Opposition Europe“ um den Rechtsextremen Eric Graziani geplante zusätzliche Kundgebung am Brandenburger Tor wurde zwischenzeitlich ebenfalls wieder abgesagt. Graziani moderierte zuletzt den rechtsextremen Aufmarsch von „Wir für Deutschland (WFD)“ am 03. Oktober. [1] Hintergrund der Absage ist eine Allgemeinverfügung der Berliner Polizei, die wegen der Feierlichkeiten zum Mauerfall an diesem Tag Versammlungen im Bereich Pariser Platz und in Teilen der Wilhelmstraße untersagt. [2]

Die Aufrufenden
Die Kleinstgruppe „staatenlos.info“ ist ein Zusammenschluss von Anhänger_innen der Reichsbürgerideologie um den ehemaligen NPD-Kader Rüdiger Hoffmann (ehemals Klasen). Hoffmann war in den 1990er Jahren wegen versuchten Mordes in Haft, weil er einen Angriff mit Molotow-Cocktails auf eine Flüchtlingsunterkunft mitorganisiert haben soll, wie verschiedene Medien berichten. [3] „Staatenlos.info“ fällt vor allem durch seine fast täglichen Kleinstkundgebungen vor dem Reichstagsgebäude auf, an der sich selten überhaupt eine zweistellige Teilnehmer_innenzahl einfindet. Diese Kundgebungen haben eher den Charakter eines Informationsstandes, mit mehreren bedruckten Planen und unregelmäßig Redebeiträgen von Hoffmann.
Inhaltlich vertritt die Gruppe typische Versatzstücke einer antidemokratischen und durch Verschwörungserzählungen geprägten Reichsbürgerideologie. Laut der Internetseite von „staatenlos.info“ habe sich die „parlamentarische Demokratie […] von Anfang an nicht bewährt“ und sei „für die gesamte Menschheit untragbar.“   Ihrer Ansicht nach ist die Bundesrepublik eine „zu privat- kommerziellen Firmen vollprivatisierte Treuhandverwaltung“ auf dem Boden des angeblich weiterhin existierenden Deutschen Reichs. Zum Thema Antisemitismus verweist der Internetauftritt der Gruppe auf einen Blog, in dem die Novemberpogrome auf antisemitische Weise in eine „zionistisch / bolschewistische“ Verschwörung gegen das deutsche Volk umgedeutet werden, die auf einen Zusammenbruch der deutschen Versicherungsbranche abgezielt hätte.
Mit dem Aufkommen der Gelbwestenbewegung in Frankreich Ende 2018 entstand in Berlin ein rechtsextremer Zusammenschluss mit dem Namen „Gelbe Westen Berlin“. Deren Versammlungen erhielten von Anfang an wenig Zulauf und ihre Protagonist_innen suchten schnell die Nähe zu den Reichsbürgern von „staatenlos.info“. Zuletzt führten beide Gruppierungen ihre gemeinsamen Versammlungen immer wieder zusammen mit anderen Akteuren der rechtsextremen Szene durch, unter anderem mit „Patriotic Opposition Europe“. [4]

(…)

Mobilisierungspotential
Das Spektrum, das aktuell zum 9. November nach Berlin aufruft, wirbt regelmäßig bei seinen Veranstaltungsankündigungen mit diversen Unterstützergruppen und Mitaufrufenden, um eine vermeintliche Breite der Mobilisierung zu suggerieren. Real weisen vergangene Veranstaltungen allerdings darauf hin, dass maximal Teilnehmende im unteren dreistelligen Bereich zu erwarten sind.

Quelle: MBR-Einschätzung vom 24.10.19

Erneute weitere Anmeldungen von Rechtsextremen und Reichsbürgern sind möglich. Berlin gegen Nazis aktualisiert diesen Beitrag, sobald es neue Informationen gibt. Die Hashtags auf Twitter für den 09.11. lauten #b0911 und #9Nov.