Die Dynamik der Mobilisierung zu rechtsoffenen Versammlungen in Berlin-Mitte hat seit Mitte Mai abgenommen. Anhaltende Gegenproteste organisiert durch ein breites Bündnis und Positionierungen von Anwohner_innen und anliegenden Institutionen, wie der Volksbühne und Galerien seit Mitte April, haben die rechtsoffenen Versammlungen von ihrem Ursprungsort am Rosa-Luxemburg-Platz verdrängt. Seither versuchen die verschiedenen Organisatoren der rechtsoffenen Versammlungen neue Orte zu etablieren. Dies waren unter anderem der Alexanderplatz und der Mauerpark, wo ebenfalls starke Proteste gegen diese Versuche stattfanden. Die meisten rechtsoffenen Anmeldungen liegen seit Ende Mai im Regierungsviertel (Siegessäule, Reichstagswiese, Brandenburger Tor). Der Gegenprotest reagierte mit Fahrradkorsos oder Protest aus Kundgebungen und Demonstrationen zu anderen Themen, wie dem Schutz des Mahnmals für die ermordeten Sinti und Roma Europas, die in räumlicher Nähe stattfanden. Es gab eine Positionierung gegen die rechtsoffenen Versammlungen und einen rechtsextremen Aufmarsch an der Akademie der Künste.
Seit Ende Mai existiert eine gemeinsame Resolution gegen die rechtsoffenen Versammlungen vieler Berliner Initiativen, Bündnisse, Organsiationen, Verbänden und Parteien:
Die sogenannten “Hygienedemos” oder “Widerstand 2020” sind der falsche Ort, um der legitimen Sorge um die Erhaltung von Grundrechten Ausdruck zu verleihen. Wer gemeinsam mit extrem Rechten protestiert, macht sich selbst zum Steigbügelhalter für deren auf Spaltung und Ausgrenzung zielendes Programm.
In der vergangenen Woche kam es zu einer Positionierung der Staatlichen Museen zu Berlin gegen die seit Wochen vor dem Alten Museum abgehaltenen verschwörungsideologischen Kundgebungen. Eine angemeldete Gegenkundgebung konnte den Lustgarten zurückgewinnen. Es beteiligten sich neben den Künstler_innen Die Vielen u.a. auch die Anwohner*inneninitiative für Zivilcourage – Gegen Rechts. Der verschwörungsideologische Autokorso wählte kurzfristig als neues Ziel die Messe Berlin. Diese hat sich umgehend und deutlich am Tag der verschwörungsideologischen Kundgebung selbst durch ein Statement auf Twitter von deren Inhalten distanziert und damit erfolgreich positioniert.
Neben den großen angekündigten Protesten von #Blacklivesmatter kommt es diese Woche unter dem Motto Wir sind nicht eure Kulisse (Facebook Vernstaltungslink) wieder zu angemeldetem Gegenprotest und Positionierung am Lustgarten. Erneut wurde der verschwörungsideologische Autokorso, zunächst für den Lustgarten beworben, kurzfristig verlegt. Die Abschlusskundgebung findet nun am Washingtonplatz statt.
Verschwörungsideologische und rechtsoffene Versammlungen
Nach einem ruhigen vergangenen Wochenende gibt es für diesen Samstag erneut Anmeldungen für rechtsoffene Kundgebungen, eine Demonstration und einen verschwörungsideologischen Autokorso in der Innenstadt, an denen sich in den Vorwochen auch Rechtsextreme beteiligten und diese teilweise dominierten. Die umfangreichen Gegenproteste und Positionierungen gegen diese Versammlungen sind exemplarisch im Berlin gegen Nazis Artikel zum Pfingstwochenende nachlesbar. Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin MBR hat die rechtsoffenen Versammlungen zuletzt in einer Einschätzung für das konkrete Geschehen am 06. Juni zusammenfassend folgendermaßen beschrieben:
Seit Ende März mobilisieren unterschiedliche Akteur_innen aus verschwörungsideologischen Milieus zu Versammlungen in Berlin gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Durchgängig wurden dabei Personen mit rechtsextremen, antisemitischen und anti-demokratischen Schildern und Äußerungen vor Ort widerspruchsfrei geduldet. In den vergangenen Wochenenden ist eine Abnahme der Teilnehmer_innenzahlen zu beobachten. Dies kann auch als Erfolg der vielfältigen Proteste seitens demokratischer zivilgesellschaftlicher Akteur_innen gewertet werden.(…)
In den vergangenen Wochen bildete sich ein verschwörungsideologisch geprägtes Milieu von Corona-Leugner_innen heraus, dass sich zunehmend von den Aktionen des KDW am Rosa-Luxemburg-Platz loslöste. Reichweitenstarke Einzelpersonen, neue Labels wie „Corona Rebellen“ oder „Widerstand 2020“ sowie anonyme Accounts in Sozialen Medien verbreiteten zunehmend eigene Aufrufe bzw. organisierten eigene Veranstaltungen. Dabei war in den letzten Wochenenden neben sinkenden Teilnehmer_innenzahlen auch eine Zersplitterung der Proteste sowie eine Zunahme gewaltbereiter Rechtsextremer und ein insgesamt aggressives Auftreten der Teilnehmenden zu beobachten.
MBR 05.06.2020
Rechtsextreme Kundgebung vor dem Kanzleramt
Auf 14 Uhr mobilisiert der Rechtsextreme Nikolai Nerling unter dem Motto „Für deutsche Kultur! Gegen BRD-Faschismus in Deutschland“ zu einer Kundgebung vor dem Kanzleramt.
Über den aufrufenden Rechtsextremen Nerling und sein organisatorisches Umfeld heißt es in einer aktuellen Einschätzung der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) u.a.:
Wie bereits in den Vorjahren plant der rechtsextreme Videoaktivist Nikolai Nerling am kommenden Samstag eine Kundgebung in der Berliner Innenstadt. Der als „Volkslehrer“ bekannte ehemalige Grundschullehrer hatte bereits 2019 drei Kundgebungen durchgeführt, bei denen Redner aus dem überregionalen Holocaustleugner-Spektrum sprachen.
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Schon 2019 fanden in Berlin am 14. Juli und 3. Oktober auf dem Breitscheidplatz sowie am 19. Januar auf der Reichstagswiese von Nerling angemeldete Kundgebungen unter ähnlichen Titeln statt, bei denen bekannte Holocaustleugner als Redner auftraten. Zudem wurden sogenannte „Volkstänze“ durchgeführt. Ähnliches ist daher für Samstag ebenfalls zu erwarten.
Bereits 2016 fiel Nerling mit einem antisemitischen Plakat auf, in dem der Holocaust als „eine Geschichte voller Lügen“ bezeichnet und der Shoa-Leugner Horst Mahler zitiert wurde. Seit 2017 agiert Nerling als rechtsextremer Videoaktivist unter dem Titel „Volkslehrer“. Infolge seiner zunehmenden rechtsextremen Aktivitäten wurde er 2018 aus dem Schuldienst entlassen.
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In diesem Jahr war er, nicht nur in Berlin, überwiegend bei den rechtsoffenen „Corona-Protesten“ anzutreffen.
MBR 03.07.2020
Übersicht der Kundgebungen und Demonstrationen am 04.07.20 in Berlin
Rechtsoffene und rechtsextreme Versammlungen
13.00/15.00 Uhr: Verschwörungsideologischer Autokorso, Route: Start Messe Berlin, Hammerskjöldplatz, Kaiserdamm, Kurfürstendamm, Tauentzienstraße, Bülowstraße, Gitschiner Straße, Skalitzer Straße, Warschauer Straße, Petersburger Straße, Danziger Straße, Bernauer Straße, Schulstraße, Stromstraße, Altonaer Straße, Alt-Moabit, Washingtonplatz. 15 Uhr: Abschlusskundgebung auf dem Washingtonplatz am Hauptbahnhof
14.00-18.00 Uhr: Rechtsextreme Kundgebung, Forum Kanzleramt
14.00 – 22.00 Uhr: Rechtsoffene Kundgebung, Brunnen der Völkerfreundschaft, Alexanderplatz
14.00-22.00 Uhr: Rechtsoffene Kundgebung, Bebelplatz
15.00- 22.00 Uhr: Rechtsoffene Demonstration, Neptunbrunnen, Route: Neptunbrunnen, Unter den Linden, Friedrichstraße, Leipziger Straße, Potsdamer Straße, Bülowstraße, Nollendorfplatz
Black Lives Matter- Proteste, Gegenprotest und Positionierungen
11:00-12:00 Uhr Mahnwache für Toleranz und ein friedliches Miteinander – gegen Rassismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit, Marktplatz Spandau
14.00/ 15.00 Uhr Black Lives Matter! Free Mumia! Free them all! Fahrradzubringer vom Hermannplatz bis Pariser Platz ab 15.00 Uhr Kundgebung vor der US-Amerikanischen Botschaft
14.30-16.00 Uhr: Gegenprotest Für Weltoffenheit und demokratische Werte. Gegen Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und Hetze, Lustgarten
14.00-16.30 Uhr Nein zu Rassismus/ Black Lives Matter Germany, Gendarmenmarkt, Route: Gendarmenmarkt, Mohrenstraße, Leipziger Straße, Ebertstraße, Straße des 17. Juni, Brandenburger Tor
Änderungen möglich. Aktuelle Informationen auf Twitter unter dem Hashtag: #B0407