Bereits seit Ende 2018 wird aus dem Reichsbürgerspektrum und von Rechtsextremen regelmäßig zu sogenannten „Großmobilisierungen“ in Berlin-Mitte und dem Regierungsviertel aufgerufen. Zuletzt haben an diesen Versammlungen im Februar etwa 50 bis 100 Personen teilgenommen. Mit den rechtsoffenen Protesten gegen die Maßnahmen der Bundesregierung zur Eindämmung der Coronapandemie, hat sich in den letzten Wochen jedoch eine neue Dynamik ergeben, die sich auf die Teilnehmendenzahl der rechtsextremen Veranstaltung auswirken könnte. Zudem liegen die bisher vorliegenden rechtsoffenen Anmeldungen im räumlichen Umfeld des rechtsextremen Aufmarsches.
Erneut wird es – neben den angekündigten großen Protesten von #Blacklivesmatterberlin – gegen Rassismus wird es wieder Proteste gegen die rechtsoffenen Versammlungen von unterschiedlichen Intitiativen und Bündnissen geben, die auch schon in den Vorwochen gegen diese protestiert haben (siehe z.B. hier). Eine ausführliche Vorstellung der Proteste muss aus Zeitgründen entfallen. Hingewiesen sei auf die neue gemeinsame Resolution gegen die rechtsoffenen Versammlungen vieler Berliner Initiativen, Bündnisse, Organsiationen, Verbänden und Parteien:
Die sogenannten “Hygienedemos” oder “Widerstand 2020” sind der falsche Ort, um der legitimen Sorge um die Erhaltung von Grundrechten Ausdruck zu verleihen. Wer gemeinsam mit extrem Rechten protestiert, macht sich selbst zum Steigbügelhalter für deren auf Spaltung und Ausgrenzung zielendes Programm.
Rechtsextremer Aufmarsch am 6. Juni
Für den 06.06.2020 wird seit Monaten eine Kundgebung beworben, die am Pariser Platz von 12.30 – 16.30 Uhr stattfinden soll. Aufgerufen wird, wie zuletzt im Februar, von der rechtsextremen Gruppierung „Patriotic Opposition Europe“. Teil der Anmeldung ist ein kurzer Aufmarsch rund um das Brandenburger Tor. Identische Anmeldungen gibt es für den 8.August, den 03.Oktober und den 05.Dezember. Die rechtsextremen Organisatoren von Patriotic Opposition Europe haben in den letzten Wochen mehrfach an den rechtsoffenen Versammlungen am Rosa-Luxemburg-Platz und um den Alexanderplatz teilgenommen.
Über die aufrufenden Rechtsextremen und ihr organisatorisches Umfeld heißt es in einer aktuellen Einschätzung der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) u.a.:
Unter wechselnden Labels bzw. Gruppierungen sowie mit regelmäßigen Videos in sozialen Netzwerken und Auftritten als Redner bei rechtsextremen Versammlungen, vor allem aus dem Milieu des islamfeindlichen Rechtsextremismus, aus dem er stammt, tritt Eric Graziani seit einigen Jahren in Erscheinung. Er hat in den vergangenen Wochen regelmäßig an Protesten des oben genannten verschwörungsideologisch geprägten Milieus, aber auch bei rechtsextremen Versammlungen außerhalb Berlins teilgenommen und warb dabei für seine Veranstaltung. In der Vergangenheit waren zu Veranstaltungen der „Patriotic Opposition Europe“ am Brandenburger Tor nur eine zweistellige Zahl von Teilnehmenden erschienen. Im Kontext der Proteste des verschwörungsideologisch geprägten Milieus im näheren Umfeld könnte am kommenden Samstag auch erstmals auch eine höhere Anzahl an Besucher_innen erscheinen.
Weitere Hintergründe finden sich in einem Artikel aus dem Jahr 2016 von berlin rechtaußen.
Rechtsoffene Versammlungen am 6. Juni
Die Dynamik der Mobilisierung zu rechtsoffenen Versammlungen in Berlin-Mitte hat seit Mitte Mai abgenommen. Trotzdem gibt es erneut Anmeldungen für rechtsoffene Kundgebungen, Demonstrationen und einen Autokorso, an denen sich in den Vorwochen auch Rechtsextreme beteiligten und diese teilweise domninierten. Die umfangreichen Gegenproteste und Positionierungen gegen diese Versammlungen sind exemplarisch im Berlin gegen Nazis Artikel zum Pfingstwochenende nachlesbar. Ausführliche Informationen zum Gegenprotest folgen. Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin MBR schätzt die rechtsoffenen Versammlungen zusammenfassend folgendermaßen ein:
Für kommenden Samstag kursiert ein gemeinsamer Aufruf der „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ (KDW), „Widerstand 2020“, „Corona Rebellen“ und vergleichbarer Gruppierungen zu einer „Großdemonstration“ um 14 Uhr an der Siegessäule. (…)
KDW mobilisierte seit Beginn der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie jeden Samstag zu unangemeldeten Kundgebungen, sogenannten „Hygienedemos“ auf den Rosa-Luxemburg-Platz, die sich äußerlich gegen die Einschränkungen im Zuge der Eindämmungsmaßnahmen richteten. Schon damals bezog sich die Initiative auf Darstellungen diverser sogenannter „Alternativmedien“, die Verschwörungserzählungen zum Coronavirus verbreiteten. Ebenso hatten die Proteste von Beginn an einen rechtsoffenen Charakter, da rechtsextreme Personen und entsprechende Äußerungen ohne Widerspruch der übrigen Teilnehmenden akzeptiert wurden.
In den vergangenen Wochen bildete sich ein verschwörungsideologisch geprägtes Milieu von Corona-Leugner_innen heraus, dass sich zunehmend von den Aktionen des KDW am Rosa-Luxemburg-Platz loslöste. Reichweitenstarke Einzelpersonen, neue Labels wie „Corona Rebellen“ oder „Widerstand 2020“ sowie anonyme Accounts in Sozialen Medien verbreiteten zunehmend eigene Aufrufe bzw. organisierten eigene Veranstaltungen. Dabei war in den letzten Wochenenden neben sinkenden Teilnehmer_innenzahlen auch eine Zersplitterung der Proteste sowie eine Zunahme gewaltbereiter Rechtsextremer und ein insgesamt aggressives Auftreten der Teilnehmenden zu beobachten.
Offenbar ist die für Samstag angekündigte gemeinsame „Großdemonstration“ an der Siegessäule der Versuch, dieses Milieu wieder geeint auf der Straße zusammenzubringen. Dennoch plant der Vegankoch Attila Hildmann, unterstützt durch ein reichenweitenstarkes „Alternativmedium“ parallel zur „Großdemo“ einen Autokorso, der ab 13 Uhr am Olympiastadion beginnen und im Lustgarten vor dem Alten Museum um 15 Uhr mit einer Kundgebung fortgeführt werden soll. (…)
Aufgrund der von Beginn der Kundgebungen an nicht vollzogenen Abgrenzung konnten Rechtsextreme und Menschen mit offensichtlich den Nationalsozialismus oder die Shoah relativierenden Schildern und Botschaften die Protesten seit Wochen zunehmend für sich nutzen. Auch für das kommende Wochenende bewerben rechtsextreme Aktivist_innen wie der „Volkslehrer“ die Proteste. Die rechtsextreme Kleinstpartei „Der III. Weg“ kündigt sich zudem für kommenden Samstag „mit großer Gruppenstärke und noch mehr Dynamik“ in Berlin an.
Überblickskarte , 06.06.2020, Berlin-Mitte (Änderungen möglich, Stand: 05.06.2020)
Karte mobil online ansehen, wenn gewünscht mit Anzeige des eigenen Standortes, über Smartphone-App „Gegen Nazis“.
Kundgebungsorte und Routen (Stand 05.06., 17.15 Uhr)
11.00 Uhr Sammelkundgebung Gegenprotest- Fahrradkorso „Wir fahren gegen Rechts“ -Startzeitpunkt 12 Uhr vom Rosa-Luxemburg-Platz, Rosa-Luxemburgs-Straße, Memhardstraße, Karl-Liebknecht-Straße, Unter den Linden, Glinkastraße, Behrenstraße, Ebertstraße, 18.März, Eberststraße, Potsdamer Platz, Getraudenstraße, BBC Kongresszentrum
12.00 Uhr Gegenprotest-Kundgebung #reclaimrosaluxemburgplatz, Rosa-Luxemburg Platz
12.00 Uhr Kundgebung für Seenotrettung von Seaeye.org, Potsdamer Platz
12.30- 16.30 Uhr rechtsextreme Kundgebung und Aufmarsch Patriotic Opposition Europe: Pariser Platz, Unter den Linden bis Schadowstraße, Unter den Linden bis Wihelmstraße, Wilhelmstraße, Dorotheenstraße, Scheidemannstraße,Heinrich-von-Gagern-Straße, Forum am Bundeskanzleramt, Heinrich von Gagern-Straße, Yitzhak-Rabin-Straße, Straße des 17.Juni, Platz des 18.März, Pariser Platz.
12.30- 17.00 Uhr rechtsoffene Demonstration: Großer Stern (Siegessäule), 17.Juni, Ebertstraße, Behrensstraße, Glinkastraße, Unter den Linden (vor der russischen Botschaft)
13.00 Uhr Gegenprotest-Kundgebung von #reclaimrosaluxemburgplatz Ebertstraße (Zwischen Brandenburger Tor und Behrensstraße)
13.00 Uhr Gegenprotest-Kundgebung vom VVN-BdA „Hände weg vom Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma! Kein Platz für Rassist*innen! Simsonweg (direkt vor dem Eingang zum Mahnmal )
13.00-18.00 Uhr rechtsoffene Kundgebung, Alexanderplatz (nördlicher Bereich)
14.00 Uhr Kundgebung „Nein zu Rassismus/ Black Lives Matter Germany“, Alexanderplatz
14.00 Uhr rechtsoffene Kundgebung: Straße des 17.Juni zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor (nördliche Fahrbahn/Fahrtrichtung stadtauswärts)
14.00 Uhr rechtsextreme Kundgebung der NPD, Potsdamer Platz
13.00 – 18.00 Uhr rechtsoffener Autokorso: Olympischer Platz, Olympische Str., Reichstr.,Kaiserdamm, Kaiser-Friedrich-Str., Lewishamstr. Kurfürstendamm, Tauentzienstr., Kleistr., Bülowstr., Potsdamer Str., Schöneberger Ufer, Tempelhofer Ufer, Waterloo-Ufer, Gitschiner Str., Skalitzer Str., Oberbaumstr., Warschauer Str., Petersburger Str., Danziger Str., Eberswalder Str., Bernauer Str., Brunnenstr., Badstraße, Exerzierstr., Schulstr., Luxemburgerstr., Föhrerstr., An der Putlitzbrücke, Stromstr., Lessingstr., Bachstr.,17. Juni, Ernst-Reuter-Platz, 17.Juni, Ebertstraße, Dorotheenstraße, Wilhelmstraße, Unter den Linden, Lustgarten, Bodestraße. -> Hinweis : Der geplante Schlussabschnitt des rechtsoffenen Autokorsos (Lustgarten) könnte sich aufgrund mehrerer Anmeldungen auf den gleichen Straßen am Samstag noch ändern. Eine Abschlusskundgebung wird ab 15 Uhr am Lustgarten beworben.
14.00 Uhr rechtsoffene Demonstration Neptunbrunnen bis Siegessäule -> Neptunbrunnen, via Spandauer Straße, Grunerstraße, Gertraudenstraße, Leipzigerstraße, Leipziger Platz, Ebertsraße, Straße des 17.Juni vor. Die Route könnte sich aufgrund mehrerer Anmeldungen auf den gleichen Straßen am Samstag noch ändern.
15.30 Uhr rechtsoffene Kundgebung, Alexanderplatz (südlicher Bereich zwischen Fernsehturm und Neptunbrunnen)
Ein Rückblick auf die bisherigen Positionierungen
Am 25. April, am 1.,2., 8., 9.,16.,23.Mai positionierten sich die Volksbühne, die Anwohner_innen und Galerien am und um den Rosa-Luxemburg-Platz unter dem Motto „Wir sind nicht eure Kulisse“ eindrucksvoll. Auf angemeldeten kleinen Gegenkundgebungen unter dem Motto „Reclaim Rosa-Luxemburg-Platz“ protestierten an allen diesen Tagen Menschen kreativ gegen die rechtsoffenen Versammlungen. An vielen Gebäuden am Platz, aber auch in den Seitenstraßen hingen Plakate und Transparente aus den Fenstern oder in Schaufensterscheiben. Goldene Rettungsdecken, das Erkennungszeichen der Künstler_inneninitiative DIE VIELEN wurden ebenfalls zur Positionierung genutzt und in die „Glänzenden Aktionstage“ zum 75. Jahrestag der Befreiung am 8./9.Mai einbezogen. Die Volksbühne verhüllte ihren Schriftzug am Gebäude und positionierte sich mit einer UNTEILBAR und einer LEAVE NO ONE BEHIND Bauchbinde. Das Volksbühne-Rad auf dem Platz wurde zudem mehrmals verhüllt.
In einem Statement der Volksbühne heißt es u.a.:
Mit Verschwörungsideolog*innen, Antisemit*innen und der neuen Rechten darf niemand gemeinsame Sache machen, der sich für Bürger*innenrechte einsetzen will! Es ist falsch, die Pandemie herunterzuspielen und damit andere Menschen in Gefahr zu bringen.
Den bisherigen Höhepunkt der Positionierungen bildete der 23. Mai mit einer Ensemble-Performance der Volksbühne im Rahmen einer Kundgebung auf den Treppen vor dem Theater gemeinsam mit
Anwohner*inneninitiative für Zivilcourage gegen Rechts, dem DGB Berlin-Brandenburg, den Berliner Omas gegen Rechts, Die Vielen, dem Bündnis für ein weltoffenes und tolerantes Berlin und der Berliner VVN-B.d.A und vielen mehr. (Dokumentation folgt)
Die Gegenprotestkundgebungen am Rosa-Luxemburg-Platz haben an den letzten drei Wochenenenden die rechtsoffenen Versammlungen erfolgreich vor der Volksbühne verdrängt. Diese verlagern sich in Richtung Alexanderplatz. Auch dort und zwischen dem Rosa-Luxemburg-Platz und dem Alexanderplatz gab es am 16., 23. und 30.Mai Gegenprotest. Auch das Regierungsviertel, der Tiergarten, das Brandenburger Tor und die Straße Unter den Linden sind seit dem 06. Mai wiederholt Schauplatz rechtsoffener Versammlungen geworden. Am 23. und 30. Mai versammelten sich aber nur noch einige hundert Personen kurzzeitig an verschiedenen Orten der Innenstadt. Diese Verringerung der Teilnehmenden ist auch auf die stetige Begleitung durch spontane oder angemeldete Gegenproteste zurückzuführen, die Berlin gegen Nazis am 16. Mai wie folgt zusammenfasste:
»Die Szenerie war in dieser Woche sehr stark vom Gegenprotest geprägt. Es herrschte eine ganz andere Stimmung, die kritische Zivilgesellschaft war vor Ort. Dass die rechtsoffenen Versammlungen sich von ihrem Ursprungsort wegorientieren mussten, ist ein Erfolg.
Berlin gegen Nazis informierte im Vorfeld der bisherigen Versammlungen unter anderem mit Einschätzungen der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin -MBR und dokumentierte mit Live-Berichten auf Twitter und Zusammenfassungen auf Facebook (25. April 01./02.Mai 08/09. Mai 16. Mai , 23.Mai (folgt) und Instagram. Die MBR ordnete zudem die rechtsoffenen Versammlungen in einem Interview für ein Video des supernova Magazin ein.
Änderungen möglich. Aktuelle Infos auf Twitter unter dem Hashtag: #b0606