Protestvorbereitungen und Mobilisierung
Als im Frühjahr 2018 bekannt wurde, dass Rechtsextreme wie schon im August 2017 einen Neonazi-Aufmarsch zur Ehrung des NS-Kriegsverbrechers Rudolf Heß in Spandau angemeldet hatten, setzten sich verschiedene zivilgesellschaftliche Initiativen, Gruppen, Parteien und Bündnisse zur Planung erneuter breiter Proteste zusammen (Dokumentation der Proteste 2017). Es entstand eine breite Vernetzung, die Berlin gegen Nazis von Beginn an begleitete. Umfangreiche Anmeldungen von Protesten erfolgten rund um den Bahnhof Spandau und die Wilhelmstraße 23, dem Ort des ehemaligen Kriegsverbrechergefängnis, an dem Rudolf Heß 1987 Selbtsmord beging.
Die Bezirksverordnetenversammlung Spandau beschloss eine Resolution gegen den Aufmarsch und rief die Bevölkerung zur Teilnahme am Protest auf. Mit einer gemeinsamen Pressekonferenz in der Zitadelle Spandau am 07.August stellten alle beteiligten Bündnisse und Initiativen die geplanten Proteste der Öffentlichkeit vor. In den Gottesdiensten der Spandauer Kirchen und den Freitagsgebeten der Spandauer Moscheen wurde über den bevorstehenden Neonazi-Aufmarsch informiert. Am Samstag vor dem Aufmarsch führten die Spandauer Ortsvereine der SPD, CDU, der Grünen, der Linken und der FDP eine gemeinsame Informationsveranstaltung auf dem Spandauer Marktplatz durch und die Künstler_inneninitiative Die Vielen baute, ebenfalls auf dem Spandauer Markplatz, ein Gegen Nazis Mobil.
Rechtsextreme Aufmarschrouten und Anwohner_innenformationen
In Berlin werden Routen von rechtsextremen Aufmärschen erst ca. 48 Stunden vor dem Aufmarschtermin bekanntgegeben. Bis dahin sind der Öffentlichkeit allenfalls die Anmeldungen an sich und mögliche Startpunkte der Aufmärsche bekannt. Dies erschwert zivilgesellschafliche Proteste strukurell und birgt die Gefahr, dass Anwohner_innen vor ihrer Haustür unvorbereitet auf gewaltbereite Neonazis treffen. Zum „Heßmarsch“ 2018 kam eine neue Herausforderung auf die Engagierten hinzu.
Die breiten Protestplanungen in Spandau führten zu einer zusätzlichen Anmeldung des „Heßmarsches“ in der Berliner Innenstadt. Ein großer Erfolg der der zivilgesellschaftlichen Protestplanungen in Spandau. Die Protestanmeldungen machten den Neonazis vorab ihre NS-Verherrlichung direkt am ehemaligen Kriegsverbrechergefängnis (Wilhelmstraße 23) unmöglich und zwangen sie zu einem Plan B für ihren Aufmarsch. Welche Anmeldung die Neonazis für ihren Aufmarsch nutzen würden, die Route in einem Wohngebiet in Spandau oder eine Route im Zentrum von Berlin, blieb bis zum Zeitpunkt des geplanten Starts am Samstag 18.08. um 12.00 Uhr unklar.
Erst am Donnerstagvormittag vor dem Aufmarsch wurden die Routen der beiden Aufmärsche in Spandau und Berlin veröffentlicht. Gemeinsam mit einer Partner_innenorganisation aus dem Berlin gegen Nazis Netzwerk konnten durch eine kurzfristigen Flyeraktion die Anwohner_innen der Aufmarschroute im Spandauer Ortsteil Staaken über den bevorstehenden Aufmarsch informiert werden. DieFlyer in 13 Sprachen stießen auf sehr positive Resonanz und viele Anwohner_innen nahmen an den Protesten gegen den „Heßmarsch“ in Spandau teil. Für eine gleichzeitige Aktion dieser Art in Friedrichshain und Lichtenberg fehlten jedoch die Kapazitäten.
Protestchoreografie in Spandau
Die Proteste gegen den Neonaziaufmasch begannen am 18.08. in Spandau bereits um 9.00 Uhr mit einer kurzen Demonstration von Bündnis 90/ Die Grünen Spandau durch die Spandauer Altstadt.
Um 10.30 Uhr folgte eine große Kundgebung gegenüber dem Spandauer Rathaus mit über 1000 Teilnehmer_innen organisiert durch das Bündnis für ein weltoffenes und tolerantes Berlinmit Redebeiträgen von Lala Süsskind, Vorsitzende Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus, Bischof Dr. Markus Dröge, Evangelische Kirche, Prälat Dr. Stefan Dybowski, Katholische Kirche, Ayşe Demir, Vorstandssprecherin des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg, Christian Hoßbach, Vorsitzender DGB Berlin-Brandenburg und Jan Gabriel, Präsident Humanistischer Verband Berlin-Brandenburg.
Um 11.30 Uhr startete eine Demonstration des Spandauer Bündnis gegen Rechts mit über 2500 Teilnehmer_innen am Bahnhof Spandau. Die Demonstration führte zum ehemaligen Ort des NS-Kriegsvebrechergefängnis. Auf der Demonstration wurde unter anderem ein Grußwort des CSU-Bürgermeisters aus Wunsiedel verlesen.
Am Melanchtonplatz nahe der Wilhelmstraße 23 veranstaltete die „Mahnwache für Toleranz und ein friedliches Miteinander – Gegen Rassismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit“von der Evangelischen Kirche Spandau ab 11:00 Uhr eine Kundgebung mit vielfältigem Programm.
An der Wilhelmstraße 23 fand über den gesamten Nachmittag ein gutes besuchtes Fest der Demokratie mit Infoständen, Reden und Musik statt, zu dem die Spandauer Ortverbände der Parteien SPD, CDU, der Grünen, der Linken und der FDP unterstützt u.a. vom DGB, Ver.di, IG Metall Jugend, Volksolidarität, AWO, den Naturfreunden, dem Bezirksschülerausschuss Spandau und der Partnerschaft für Demokratie Spandau aufgerufen hatten. Das Fest Fwurde von organisiert von B²Aktion+. Es sprach unter anderem der Bezirksbürgermeister von Spandau Herr Kleebank, sowie Parteienvertreter_innen und erneut der Evangelische Bischof Herr Dröge und der Vorsitzende des DGB Berlin Brandenburg Herr Hoßbach.
Mitmachaktion „Ein Cent gegen Nazis“
Im Rahmen der Proteste bot Berlin gegen Nazis die niedrigschwellige Mitmachaktion Ein Cent gegen Nazis Spendenlauf für Menschenrechte erfolgreich an. Die Aktion spielte dank Spendenzusagen von über 1200 Menschen über 20.000 € für die Seenotreter_innen von Sea-Watch ein. Damit wurde ein weiteres starkes Zeichen für Solidarität und Menschlichkeit im Angesicht von Neonazis gesendet. Eine ausführliche Dokumentation der Aktion finden Sie hier.
Neonazi-Aufmarsch und Gegenproteste in Friedrichshain und Lichtenberg
Die rechtsextremen Organisatoren hatten sich für den 18.08. – wie beschrieben – einen Plan B zurechtgelegt. Auch wenn im Nachgang die gut koordinierte Umleitung des Neonaziaufmarsches nach Friedrichshain eine klare Ausrichtung auf die Ausweichroute erkennen lässt, war dies am 18.08. selbst noch nicht klar ersichtlich. Zunächst hielten die Neonazis am 18.08. den Schein eines Aufmarschversuches in Spandau aufrecht, sammelten sich mit einigen Personen auf Auftaktort des Aufmarsches und im Spandauer Bahnhof und fuhren dann koordiniert zum Alexanderplatz. Ein Großteil der späteren Teilnehmenden am Aufmarsch wartete am Bahnhof Olympiastadion und stieg dort zu.
Leider konnten die Neonazis von ihrem Startort am Platz der Vereinten Nationen in Friedrichshain bis zum Bahnhof Lichtenberg marschieren und dabei den Nationalsozialismus verherrlichen. Während die Protestvorbereitungen gegen den Aufmarsch in Spandau einige Monate dauerten, hatten die Menschen in Friedrichshain und Lichtenberg ca. 48 Stunden Vorbereitungszeit. Trotzdem schafften es hunderte Menschen direkten und lautstarken Gegenprotest an der Aufmarschroute der Neonazis zu zeigen. Auch viele Protestteilnehmer_innen aus Spandau machten sich auf den Weg nach Friedrichshain und Lichtenberg.
Der 18. August 2018 war somit zweigeteilt. Erfolgreiche Proteste in Spandau, zugleich aber ein erfolgreicher Neonazi-Aufmarsch in Friedrichshain und Lichtenberg. Ein Ergebnis, aus dem es für die Proteste gegen den erwartbaren „Heßmarsches“ am 17.08.2019, dem 32. Todestag von Rudolf Heß, Schlüsse gezogen werden sollten.
Die Bilder des Tages vom Protest gegen den „Heßmarsch“ am 18. August