Während die rechtsoffenen Versammlungen von Berliner Gruppierungen im Juni abebbten, betrat eine Einzelperson mit hoher Social Media Reichweite und stets sehr radikalen Äußerungen die verschwörungsideologische „Bühne“ der Berliner Innenstadt. Zunächst mit Auftritten auf der Reichstagswiese, sodann mit Autokorsos durch die halbe Stadt. Diese Autokorsos endeten am Lustgarten. Dort versammelten sich ab Juni jedes Wochenende einige hundert Anhänger, um die aggressiven verschwörungsideologischen Reden zu feiern, die von der Treppe des Alten Museums vorgetragen wurden.
Aus diesem Grund entschlossen sich die Staatlichen Museen zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz Ende Juni ein Riesenbanner mit der Aufschrift „Für Weltoffenheit und demokratische Werte – Gegen Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und Hetze“ dauerhaft am Alten Museum zu hängen. Zugleich protestierte eine kleine Gruppe von Engagierten an mehreren Juni- und Juliwochenenden mit Unterstützung von Die Vielen vor dem Alten Museum gegen die verschwörungsideologischen Versammlungen. Kurz drauf wurden diese von der Versammungsbehörde verboten. Das Banner hing bis Anfang Dezember am Alten Museum.
Im Juli startete relativ kurzfristig eine bundesweite Mobilisierung von verschwörungsideologischen Spektren, insbesondere aus Süddeutschland, zum 01. August nach Berlin. Berliner Initiativen und Bündnisse wurden Mitten in den Sommerferien aktiv und bereiteten diverse Gegenproteste unter Pandemiebedingungen in Mitte vor.
Die Anwohner*inneninitiative für Zivilcourage – Gegen Rechts verteilte im Vorfeld erneut einen Informationsflyer für die Nachbarschaft in ihrem Kiez. Unter dem Motto „Abstand halten Gegen Rechts“ kam es am 01. August zu einer Buchstabenchoreographie auf einer Nachbarschaftskundgebung. Das Bündnis Aufstehen gegen Rassismus und die Berliner VVN-BdA schützten mit einer Kundgebung das Denkmal für die Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas. Am Pariser Platz führte das Berliner Bündnis gegen Rechts eine Protestkundgebung durch. Die Berliner Omas gegen Rechts planten ebenfalls eine „Schutzkundgebung“ am Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Durch öffentlichen Druck aus der Zivilgesellschaft auf die Politik, gespeist aus der Empörung, dass ein großer verschwörungsideologischer Aufmarsch mit teilweise antisemitischem Ausdruck direkt am Holocaustmahnmal vorbeiführen sollte, kam es zu einer kurzfristigen Routenänderung. Die Omas gegen Rechts protestierten sodann abweichend mit einigen hundert Berliner_innen auf der Leipziger Straße.
Die Zahl der Teilnehmer_innen an der verschwörungsideologische Demonstration durch Mitte und der folgenden Kundgebung im Tiergarten am 01. August war um ein vielfaches höher, als die der Gegenproteste. Die Teilnehmer_innen an den verantwortungsvollen, eher symbolischen Protesten der Berliner Zivilgesellschaft sahen sich einer aggressiven Menge von mehreren 10.000 Personen gegenüber, die euphorisch die Verweigerung von Abständen und MNS feierten. Der Gegenprotest wurde beschimpft und teilweise auch direkt bedrängt.
Für den 29. August wurde eine Wiederholung der verschwörungsideologischen Versammlungen mit bundesweiter Mobilisierung angekündigt, auf die schnell auch alle rechtsextremen Spektren aufsprangen. Die Berliner Zivilgesellschaft entschied sich aufgrund der Gefahren der COVID-19-Pandemie gegen eine Massenmobilisierung zum Gegenprotest. Erneut wurde verantwortungsvoller symbolische Protest geplant.
Die Einschätzung der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin – MBR machte im Vorfeld auf den Bündnischarakter der verschwörungsideologischen Veranstaltung, die massenhafte Teilnahme von Rechtsextremen und das sehr hohe Gewaltpotential aufmerksam. Die Versammlungsbehörde verbot die Anmeldungen, die jedoch vom Oberverwaltungsgericht aufgehoben wurden. Erneut versammelten sich 10.000de Personen im Regierungsviertel. Die den Gegenprotest organisierenden Initiativen und Bündnisse entschieden kurzfristig und aus Sicherheitsgründen, die erneuten Schutzkundgebungen für die Mahnmale im Tiergarten auf den Bebelplatz zu verlegen. Hier fand am 29. August eine zentrale Gegenprotestkundgebung mit Abstandsgebot und MNS-Pflicht mit mehreren hundert Teilnehmer_innen statt. Zugleich gab es kleine Kundgebungen und spontanen Gegenprotest an der verschwörungsideologischen Aufmarschroute und am Platz des 18. März.
Das Bündnis für ein weltoffenes und tolerantes Berlin hatte im Vorfeld des 29. August zu einer Online-Aktion unter den Mottos: „Abstand halten gegen Rechts“ und „Hass schadet der Seele“ aufgerufen, um die Berliner_innen zur ortsunabhängigen Positionierung zu animieren. Berlin gegen Nazis dokumentierte im Rahmen dieser Aktion am 29. August auf Twitter und Facebook alle Positionierung und Proteste des Frühjahrs in Berlin für die bundesweite Öffentlichkeit.
Nach einem etwas ruhigeren September kam es im Oktober und November erneut zu einer Vielzahl an kleineren und größeren, teils aggressiven verschwörungsideologischen Versammlungen in Berlin-Mitte, welche von kleinen Gegenprotesten begleitet wurden. In Charlottenburg, Pankow und Spandau kam es aus diesen Anlässen allerdings auch zu starken Gegenprotesten der Anwohner_innen.
In Charlottenburg hatte sich bereits in den Sommermonaten ein Bündnis aus lokalen linken Initiativen und Gewerbetreibenden sowie anliegenden Organisationen gebildet. Sie demonstrierten wiederholt gegen den im Kiez ansässigen Hauptprotagonisten der verschwörungsideologischen Versammlungen am Lustgarten. Sein Ladengeschäft hatte sich zu einem Treffpunkt aggressiver Personen auch aus dem rechtsextremen Spektrum entwickelt.
In Pankow gab es Mitte November breite Gegenproteste gegen einen verschwörungsideologischen Aufmarsch mit unzähligen Positionierungen aus Wohnungen und mehreren Gegenprotestkundgebungen. In Kladow einem Ortsteil von Spandau protestierten Ende November mehrere hundert Anwohner_innen gegen eine verschwörungsideologische Kundgebung von ca. 15 Personen.
Am 18. November kam es zu einer sehr schnellen bundesweiten Mobilisierung aus verschwörungsideologischen und rechtsextremen Spektren zu Kundgebungen rund um den Reichstag. Ihr Ziel war es, den Bundestag und den Bundesrat arbeitsunfähig zu machen, um so die Verabschiedung eines neuen Infektionsschutzgesetzes zu verhindern. Nach Aktivierung der Bannmeile um das Parlament und den Bundesrat, kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen gegenüber der Polizei auf der Straße des 17. Juni. Hier versammelten sich ca. 10.000 Personen an einem regulären Wochentag. Auch gegen diese verschwörungsideologische Versammlungen gab es kleine symbolische Gegenproteste auf dem Pariser Platz und direkt am Reichstag.
Zum Abschluss des Jahres gab es am 30. Dezember eine weitere symbolische Kundgebung auf dem Rosa-Luxemburg-Platz zur Positionierung gegen Verschwörungsideologien, Antisemitismus, Rassismus und gegen Rechtsextremismus, da erneut große verschwörungsideologische Versammlungen angekündigt waren. 70 Teilnehmer_innen haben die Berliner Initiativen und Bündnisse mit Abstand & MNS vertreten. Ein wichtiges verantwortungsvolles Zeichen für Solidarität in der Pandemie. Zugleich positionierten sich die Volksbühne Berlin mit einem Fassadenbanner erneut gegen Verschwörungsideologien. Auf der Kundgebung gab es u.a. Redebeiträge von den Berliner Omas gegen Rechts Berlin, vom Berliner VVN-B.d.A , Berliner Bündnis gegen Rechts , Aufstehen gegen Rassismus Berlin, dem Antirassistischen Aktionsbündnis Berlin und der Initiative für bessere Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen #walkforcare. Ein reptiloider Fahrradkorso gegen Verschwörungsideologien startete zudem vom Rosa-Luxemburg-Platz ins Regierungsviertel
Die Berliner Zivilgesellschaft hat sich 2020 unter sehr schweren Bedingungen durchgehend gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und Verschwörungsideologien positioniert. Sollte die Covid-19-Pandemie im Jahr 2021 eingedämmt werden, ist mit großen Protesten gegen weitere verschwörungsideologische Versammlungen im Zentrum von Berlin zu rechnen.
Teil 1 dieser Dokumentation finden sich hier.