Auch der zweite Anlauf jenes rechtsextremen Milieus, das schon am 14. Dezember 2024 einen Aufmarsch durch Friedrichshain organisierte, wurde stark von Gegenprotesten beeinträchtigt. Waren es im Dezember nur 60 Teilnehmende, schlossen sich dem Aufmarsch am 22. Februar in Mitte mehr als 100 vorwiegend junge Neonazis an. Szene-Codes, typische rechtsextreme Parolen sowie Beleidigungen, Provokationen und Bedrohungen, die sich an die Gegenproteste richteten, prägten auch diesen Aufmarsch.

Neben bekannten Berliner Protagonisten aus dem „Deutschen Jugend Voran“-Milieu waren auch Auswärtige vor Ort, die mutmaßlich den Labels „Chemnitz Revolte“ und „Jung & Stark“ Sachsen-Anhalt zuzuordnen sind. Nachdem die „Jungen Patrioten Deutschland (JPD)“ im Vorfeld stark mobilisiert hatten, fühlten sich einige junge teilnehmende Neonazis offenbar zu diesem neueren Label gehörend. Mindestens eine Person trat in Kleidung der „Identitären Bewegung (IB)“ Berlin auf. Es nahm mindestens ein Politiker der AfD teil. Zudem waren erneut einige rechte Streamer unterwegs, die nicht nur den Aufmarsch begleiteten, sondern auch den Gegenprotest provozierten. Die überwiegend vermummten und martialisch auftretenden Neonazis versuchten auf ihrer Route vom S-Bahnhof Friedrichstraße zum Hauptbahnhof mehrmals, den Aufmarsch zu verlassen und die Gegenproteste anzugreifen.
Laute Proteste an und auf der Route
Trotz anderer Versammlungen am Tag vor der Bundestagswahl, wie beispielsweise vom Bündnis „Berlin ist unkürzbar“, folgten weit mehr als 1.000 Menschen den Aufrufen, sich gegen den neonazistischen Aufmarsch zu stellen. Die Demonstration unter dem Motto „Vor der Wahl die Stimme erheben: Gegen Faschismus, für Queerfeminismus!“, unter anderem organisiert von Queermany Berlin und Geradedenken, stellte sich am Schiffbauerdamm auf und ließ den Aufmarsch mit Auftakt gegen 11:30 Uhr am Dorothea-Schlegel-Platz früh lautstarken Protest hören, als dieser sich auf der anderen Spreeseite in Bewegung setzte. Auf der Friedrichstraße und somit nach wenigen Metern für die Neonazis wurden diese mit ersten Protesten auf der Route konfrontiert – unter anderem von einer Gruppe Musiker_innen. In der Zwischenzeit lief die Queermany-Demo ihre Route zum Platz vor dem Neuen Tor, wo sie später erneut die Neonazis mit lauten Protest empfingen, als diese auf der Invalidenstraße marschierten.

Der Neonazi-Aufmarsch geriet noch auf der Friedrichstraße erneut ins Stocken. Dabei wurde er von der Kundgebung der OMAS GEGEN RECHTS & Friends an der Ecke Friedrichstraße/Oranienburger Straße mit „Nazis raus!“-Rufen beschallt. Gastronomische Geschäfte auf der Friedrichstraße verschlossen ihre Türen und ließen wartende Neonazis nicht ihre Toiletten benutzen. Große Proteste auf der Route sorgten dafür, dass der Aufmarsch in die Hannoversche Straße umgeleitet und die geplante Strecke somit verkürzt werden musste. Auf dieser Abkürzung kam der Neonazi-Aufmarsch durch Proteste auf der Route erneut für längere Zeit zum Stehen. Zu diesem Zeitpunkt hefteten sich mehrere hundert Gegendemonstrierende spontan an die Fersen der Neonazis und folgten dem Aufmarsch. Erst nach circa drei Stunden kamen die Neonazis auf dem Europaplatz am Hauptbahnhof für eine Abschlusskundgebung an, ehe sie – auch hier nicht unbegleitet von Protestchören – in die S-Bahn eskortiert wurden. Im Nachgang waren vereinzelt Neonazi-Gruppen im Stadtgebiet unterwegs und bedrohten in mindestens einem Fall Passant_innen in der S-Bahn. In Marzahn verteilte eine Gruppe AfD-Flyer.
Die etwas größere Anzahl der Teilnehmenden am Aufmarsch war insofern unerwartet, als dass es unter den Gruppen im Vorfeld auf den sozialen Medien offen ausgetragene Anfeindungen gab. Trotz dieser Konflikte wurde etwas breiter und vermutlich weniger öffentlich mobilisiert. Noch am selben Wochenende folgte die Ankündigung, dass ein nächster Aufmarsch in Berlin am 22. März geplant sei. Breiter Gegenprotest dürfte die Neonazis auch diesmal erwarten.
Proteste auch in Hohenschönhausen
Auch für Hohenschönhausen hatten sich am 22. Februar einzelne junge Neonazis aus dem selben Milieu angekündigt. Hier fand der Wahlkampfabschluss der in weiten Teilen rechtsextremen AfD vor dem Einkaufszentrum „Linden-Center“ statt. Die Neonazis wollten sowohl an diesem teilnehmen als auch die dagegen gerichteten Versammlungen stören. Tatsächlich fanden sich bereits beim Aufbau der AfD-Kundgebung zwei Gruppen größtenteils vermummter Neonazis ein. Diese verblieben die ganze Zeit bei der Wahlkampfveranstaltung und schwenken demonstrativ Deutschlandflaggen in Richtung der Gegenproteste.
Zudem bewegten sich den ganzen Nachmittag über einzelne Neonazis im Nahbereich, auch mitten in die Gegenproteste hinein, und bedrohten teilweise Menschen, die sie diesen zuordneten. An zwei Protestversammlungen gegen Rechtsextremismus und rassistische Hetze, organisiert vom zivilgesellschaftlichen Bündnis „Bunter Wind für Lichtenberg“ und einem breiten antifaschistischen Bündnis, beteiligten sich insgesamt über 800 Personen und setzten damit einen Tag vor der Bundestagswahl ein starkes Zeichen für einen weltoffenen und solidarischen Bezirk.
Alle Fotos: Berlin gegen Nazis