Jeden Montag das gleiche Bild am Hauptbahnhof: Ausgestattet mit zahlreichen Fahnen startete eine überschaubare Gruppe von anfangs ca. 120 Bärgida-Anhängern von hier aus ihren Aufmarsch durch Berlin-Mitte, oder setzte sich in die S-Bahn, um beispielsweise in Marzahn-Hellersdorf, Lichterfelde oder Charlottenburg wieder auszusteigen und dort zu marschieren. Sie riefen rassistische Parolen und hetzen in ihren Redebeiträgen gegen Flüchtlinge. Das Aktionsbündnis #No Bärgida begleitete sie wöchentlich mit Protesten, am Washingtonplatz, dem Auftaktort, dann auf ihren wechselnden Routen und im letzten halben Jahr bei ihren stationären Versammlungen am Hauptbahnhof, als nur noch ca. 20 Personen erschienen.
Januar 2019 – Die montäglichen Bärgida-Daueranmeldungen bis Weihnachten 2019 sind abgesagt. Ein paar Versprengte, die sich trotzdem am Washingtonplatz versammelten, wurden von der Polizei wieder nach Hause geschickt. Bärgida könnte Geschichte sein, so die Hoffnung aller, die sich diesem zähen Ringen um Berlins Weltoffenheit und gegen rassistische Manifestationen im Zentrum der Stadt in den letzten Jahren immer wieder angeschlossen haben. Auch wenn Bärgida mit Kleinstveranstaltungen weitermachen sollte, sind die Zerfallserscheinungen der letzten Wochen ein guter Moment, um den ausdauernden Gegenprotest der letzten vier Jahre zu würdigen.
Eine Chronologie
Am 05. Januar 2015 zum ersten Aufmarsch von Bärgida stellten sich 5000 Berliner_innen wenigen hundert Bärgida-Anhängern am Roten Rathaus entgegen und verhinderten den Aufmarsch zum Brandenburger Tor. Dort war aus Protest die Beleuchtung abgestellt. Viele zivilgesellschaftliche Organisationen hatten zum Protest aufgerufen. Berlin gegen Nazis informierte über Kundgebungsorte und Demonstrationsrouten. Hier eine Zusammenfassung der Berliner Zeitung.
Auch am 12. Januar 2015 stellten sich mehrere tausend Berliner_innen dem nächsten Aufmarschversuch von Bärgida entgegen. Eine Zusammenfassung aus dem Tagesspiegel.
In den folgenden Wochen und Monaten nahmen die Teilnehmer_innen am Gegenprotest stark ab, auch aufgrund weiträumiger Absperrungen der Aufmarschrouten im Regierungsviertel. Bärgida gelang es so ihre wöchentlichen Aufmärsche durchzuführen, allerdings beteiligten sich zunächst nur noch ca. 120 Personen an den Versammlungen. Mit dem NoBärgida-Aktionsbündnis organisierte sich ein „Zusammenschluss von Menschen und Organisationen, die ein Zeichen gegen Rassismus setzen“, die bis heute gegen Bärgida Proteste organisierten.
Mitte Juli 2015 wurde eine Plakataktion in Moabit gegen Bärgida organisiert. Zahlreiche Geschäfte, Lokale, Restaurants, Kneipen und Spätis entlang der Aufmarschroute von Bärgida, die immer wieder durch Wohnviertel nach Moabit führten, hängten sich Berlin gegen Nazis Plakate ins Schaufenster, auf denen auch ein großer Störer mit „No Bärgida!“ prangte.
Einen Monat später am 29. August 2015 organisierten Engagierte in Moabit den NoBärgida-Tag. Ein breites Bündnis an zivilgesellschaftlichen Organisationen unterstütze den Aktionstag. Berlin gegen Nazis war mit einem Infotisch ebenfalls vor Ort und unterstützte die Veranstalter_innen.
Im Verlauf des Frühjahres 2016 wurde auch der neu entwickelte Berlin gegen Nazis-Aufblasbär mehrfach bei den Protesten gegen Bärgida am Hauptbahnhof eingesetzt. Ein Symbol des Protestes stellvertretend für die Berliner Stadtgesellschaft. Zugleich entwickelte sich 2016 mit der „Merkel muss weg“ Aufmarschreihe ein regelmäßiger größerer rechtsextremer Aufmarsch von ehemaligen Bärgida-Anhängern, die sich nun „Wir für Deutschland“ (WfD) nannten, worauf sich die Proteste der Berliner Zivilgesellschaft fortan konzentrierte.
Da die Bärgida-Aufmarschroute 2016 immer wieder entlang der Invalidenstraße in die Friedrichstraße führte, unterstützte der Friedrichstadt-Palast Berlin, ein Partner von Berlin gegen Nazis, die Gegenproteste mit seinem herausragenden Standort. Der Aufblasbär und hin und wieder das Riesenbanner von Berlin gegen Nazis begleiteten nun oftmals die Proteste, wenn die Route über die Friedrichstraße führte. So auch im September 2016.
Trotz abnehmender Beteiligung von nur noch bis zu 50 Personen im Jahr 2017 wurden weitere Stadtteilen und Kieze in Lichtenberg, Friedrichshain, Charlottenburg, Spandau, Lichterfelde und Wannsee Ziel der wöchentlichen Bärgida Aufmärsche. Berlin gegen Nazis suchte Kontakte zu Engagierten in den jeweils betroffenen Bezirken und überall fanden sich Anwohner_innen die kleine Proteste gegen die Aufmärsche durchführten oder Kundgebungen organisierten.
Im März 2017 waren die Proteste von NoBärgida eingegliedert in die stattfindenden Aktionswochen „Zusammen gegen Rassismus in Moabit und Wedding“. Anwohner_innen rund um den Savignyplatz in Charlottenburg positionierten sich im Frühjahr gemeinsam mit Galerien und Geschäften gegen mehrere Bärgida-Aufmärsche. In Lichtenberg gab es mehrere Protestkundgebungen am Bahnhof. Am 01. Mai beteiligten sich Tourist_innen am Protest auf dem Breitscheidplatz. Und im August zeigten Menschen in Friedrichshain, wie man einfach eine Positionierung gegen Bärgida entwickeln kann und filmten die Hängung des Berlin gegen Nazis-Banners.
Im April 2018 schlossen sich Bärgida und Wir für Deutschland (WfD) für eine „Patriotische Frühjahrsoffensive“ kurzzeitig zusammen, um über 50 Personen mobilisieren zu können und damit ihren Aufmarsch wieder auf der Straße fortsetzen zu können und nicht mehr mangels Beteiligung auf den Bürgersteig verwiesen zu werden. Mehrfaches Ziel war der Mehringplatz in Kreuzberg. Daraufhin formierte sich ein Anwohner_innenprotest rund um den Mehringplatz und bot dem rassistischen Aufmarsch Paroli. Nach dem Ende dieser rechtsextremen Kooperation verließ Bärgida kaum noch ihre Kundgebung am Washingtonplatz.
Berlin gegen Nazis bedankt sich bei allen Engagierten vom Aktionsbündnis No Bärgida, den Beteiligten Partner_innen des Berlin gegen Nazis Netzwerkes und den vielen Anwohner_innen in den verschiedenen Bezirken Berlins, die Berlin gegen Nazis aus Anlass von Bärgida-Aufmärschen und den Protesten dagegen kennenlernen konnte.
Update Januar 2020:
Die Rechtsextremen von Bärgida haben auch 2019 zu keinem Ende gefunden, allerdings überschritt die Zahl der Teilnehmenden bei Bärgida fast nie den einstelligen Bereich und die Kundgebungen fanden nicht mal mehr monatlich statt. Trotzdem gab es ausnahmslos Gegenprotest von #NOBärgida.
Ehemalige Teilnehmende von Bärgida sind nun häufig bei den seit November 2019 regelmässig stattfindenden Kundgebungen und Mini-Aufmärschen aus dem Reichsbürgermilieu im Regierungsviertel anzutreffen.
Am Holocaust-Gedenktag 2020 75. Jahre nach der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz durch die Rote Armee, fanden sich 15 Rechtsextreme bei einer Kundgebung von Bärgida am Hauptbahnhof ein. Beim Gegenprotest vom Aktionsbündnis #NoBärgida drückten über 75 Teilnehmer_innen ihren Unmut über diese Provokation lautstark aus.